Zum ersten Mal sind Patienten, denen die Erblindung droht, erfolgreich mit Netzhaut-Gewebe behandelt worden, das aus Stammzellen erzeugt worden war. Viele konnten bald nach der OP deutlich besser sehen. Und die Mediziner wollen noch mehr. Es ist eine wichtige Erfolgsmeldung, aber noch lange kein Sieg für die Stammzell-Medizin: Von den ersten 18 amerikanischen Patienten, die an unheilbaren und zur Erblindung führenden Krankheiten leiden und denen vor drei Jahren Netzhautgewebe eingepflanzt wurde, das man in der Petrischale aus embryonalen Stammzellen gezüchtet hatte, können zehn wieder besser sehen – acht von ihnen konnten in Sehtests sogar deutlich schärfer als vorher und bis zu 15 Buchstaben wieder erkennen. Über die erste Langzeitbilanz zweier klinischer Studien haben jetzt Robert Lanza von der Biotechfirma „Advanced Cell Technology“ und eine Gruppe von amerikanischen Augenspezialisten in der angesehenen britischen Zeitschrift „Lancet“ berichtet. Eigentlich sollte in den beiden kleinen Studien lediglich gezeigt werden, dass die Transplantation von Netzhaut-Ersatzgewebe, das aus Stammzellen erzeugt worden ist, sicher ist und nicht etwa zu Krebswucherungen führt. Solche Befürchtungen gab es nach den Labor- und Tierexperimenten immer wieder. Stammzellen, und zumal die ethisch lange umstrittenen embryonalen Stammzellen, die aus überzähligen, nach Befruchtungsbehandlungen gespendeten Keimbläschen in der Petrischale gewonnen werden, sind extrem entwicklungsfähig und wandelbar. Das macht ihr Potential für die regenerative Medizin aus, löste in der Vergangenheit aber immer wieder auch Bedenken über krebsartige Wucherungen – Teratome – aus.
Andererseits hat man gegen die beiden behandelten Augenleiden, der trockenen altersbedingten Makuladegeneration und der Stargardt’s Makula-Dystrophie, bisher keine einzige erfolgreiche Therapie. Die Krankheiten führen unwiderruflich zur Erblindung. Bei der Stargardt’s-Makuladegeneration betrifft das sogar häufig junge Menschen. In den klinischen Tests der Amerikaner lag das Alter der Patienten zwischen 20 und 70 Jahren. Die Patienten mit der altersbedingten Makulardegeneration, die häufigste Ursache für Erblindung im hohen Alter, lag der Altersdurchschnitt bei 77 Jahren. Obwohl schon etwas ältere Einzelversuche mit transplantierten Ersatz-Netzhautzellen gescheitert waren, wollten die anderthalb Dutzend Patienten den Kampf gegen die Blindheit mit neuen Zellen aufnehmen.
Bis zu 150.000 Ersatzzellen
Robert Lanza und sein Team verpflanzten für den Sicherheitscheck kleine Gewebestücke mit den gezüchteten Netzhautzellen in jeweils eines der beiden Augen. Dabei handelte es sich um Retina-Epithel, das als Teil der Netzhaut für gewöhnlich die Erhaltung und das Funktionieren der Sinneszellen sicherstellt. Anders als in früheren Tests wurden die transplantierten Zellen nicht mitten in die zerstörten Regionen der Netzhaut verpflanzt, sondern am Rand des zerstörten Gewebes, wo die zellulären Bedingungen für ein Anwachsen des Ersatzgewebes besser sein sollten. Einige Patienten erhielten 50.000, andere bis zu 150.000 Zellen. Lebensgefährliche Abstoßungsreaktionen waren zumindest kaum zu erwarten, in den betreffenden Bereichen des Auges ist die Immunabwehr nicht so ausgeprägt wie in anderen Organen. Das ist einer der Gründe, weshalb degenerative Augenleiden für die Stammzell-Medizin so interessant sind. Sie sind aber keineswegs die einzigen Leiden. Vor kurzem wurden zwei klinische Studien in Paris und den Vereinigten Staaten gestartet, in denen ebenfalls jeweils einige wenige Patienten mit angeborenem Jugenddiabetes und Herzinfarktpatienten mit Ersatzgewebe aus embryonalen Stammzellen behandelt werden. Auch dort geht es zuerst darum zu klären, ob die Transplantate sicher sind und keine gefährlichen Nebenwirkungen hervor rufen.